INTERVIEWGESPRÄCH
FACHKRÄFTE IM LÄNDLICHEN RAUM: WORK-LIFE-BALANCE ZWISCHEN STADT, LAND UND NATUR
Für den Hamelner Oberbürgermeister Claudio Griese sind die Potenziale beim Thema Fachkräfte noch nicht ausgeschöpft, da gibt es noch viel zu tun. Wir sprachen mit Herrn Griese darüber was getan werden muss, um Fachkräfte im ländlichen Raum zu gewinnen und wann aus Hameln ein Singapur wird.
Hamelner Oberbürgermeister Claudio Griese, (Foto: Stadt Hameln)
Jobgalerie Weserbergland: Herr Oberbürgermeister Griese, viele Unternehmen beklagen, dass es für sie ungemein schwierig ist, Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, das schreiben Sie auf Ihrer Homepage. Was sind die Gründe für die Schwierigkeiten, Fachkräfte gerade im ländlichen Raum zu gewinnen?
Oberbürgermeister Griese: Hameln befindet sich natürlich im bundesweiten Wettbewerb um die klugsten Köpfe und qualifizierte Fachkräfte. Das ist uns bewusst. Es steht außer Frage, dass auch wir hierzulande einen Arbeitskräftemangel haben. Verständlicherweise zieht es junge Menschen nach der Schule oder nach ihrer Ausbildung in die Großstädte, um einfach mal andere Lebenserfahrungen zu machen. In diesem Zusammenhang gibt es immer ein Spannungsfeld zwischen Großstadt und Land. Aber gerade in diesem Spannungsfeld sehe ich sehr viele Möglichkeiten und Potenziale für Weserbergland und Hameln. Wir legen unsere Aufmerksamkeit weniger auf Schwierigkeiten, sondern mehr auf Möglichkeiten. Gerade beim wichtigen Thema Fachkräfte sind die Möglichkeiten und Potenziale für uns noch nicht ausgeschöpft. Da gibt es noch viel zu tun.
Jobgalerie Weserbergland: Hameln hat nur noch Zedita als Co-Working-Area. Das Co-Working-Space Orangery in der Wittekindstraße hat im Sommer 2022 seinen Standort geschlossen. Es gibt viele Gewerberäume in Hameln, die auf Visionen und Innovationen warten. Trotz guter Förderprogramme wandern Startup-Unternehmen ab. Was braucht es damit aus Hameln ein Singapur wird?
Oberbürgermeister Griese: Wir arbeiten täglich daran, dass die Unternehmen, die Lehrinstitute und die Stadt Hameln sich immer besser vernetzen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Die Zedita, das Zentrum für digitale Transformation und neue Arbeit, ist ein junges Erfolgsprojekt in Hameln. Sie ist ein Innovationsprojekt, in dem Infrastruktur, Netzwerk und Wissenstransfer gebündelt werden. Die Zedita kommt bei den Menschen, insbesondere bei dem dynamischen und jungen Publikum in der Stadt sehr gut an. Diese Erfolgsenergie wollen wir in den nächsten Jahren kontinuierlich weiter ausbauen und unterstützen. Ein weiteres Thema ist die Hochschule Weserbergland, die ihre Angebote und Fakultäten erweitern möchte. Das wird von unserer Seite begleitet und sehr begrüßt. Singapur ist sicherlich ein toller Stadtstaat. In Hameln wollen wir jedoch mit den vorhandenen Bedingungen vor Ort Ziele gemeinsam und realistisch erreichen und die Zukunft der Stadt kontinuierlich gestalten.
„ICH HABE VERSTÄNDNIS DAFÜR, DASS JUNGE MENSCHEN ERST EINMAL DIE WELT ENTDECKEN WOLLEN“
Anzeige
Jobgalerie Weserbergland: Das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung kommt zu seiner Studie 2023, dass vor allem Menschen zwischen 30 und 49 Jahren mit ihren minderjährigen Kindern, Berufseinsteigern zwischen 25 und 29 Jahren sowie über 50- und über 65-Jährigen die ländliche Regionen immer mehr für sich entdecken. Dagegen bevorzugt die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen weiterhin die Großstädte. Welchen Nutzen und Herausforderungen könnte Hameln aus dieser Studie ziehen?
Oberbürgermeister Griese: Ein wichtiger Punkt ist der bezahlbare Wohnraum. An diesem Punkt ist die Stadt gut aufgestellt. Mit einer Einwohnerzahl von rund 60.000 ist Hameln eine überschaubare Stadt. Das sind Qualitätsmerkmale, die für junge Familien attraktiv sind. Hameln bietet gerade für alte und junge Menschen eine gute Lebensstruktur und eine besondere Work-Life-Balance zwischen Stadt, Land und Natur an. Ich habe Verständnis dafür, dass junge Menschen erst einmal die Welt entdecken wollen, sei es in der Großstadt oder im Ausland. Aber wenn sich die Frage um Lebensqualität stellt, dann gibt es eine Tendenz, bei den jungen Erwachsenen und Familien aufs Land zu ziehen und in einer Stadt, die die Größe von Hameln beispielsweise hat. Die neue Arbeitswelt und die Digitalisierung machen das Leben im Weserbergland und in einer Stadt wie Hameln möglich und auch attraktiv. Wissen Sie, vergleichen macht keinen Sinn. Großstädte haben ihre Anziehungskraft und das Weserbergland und Hameln haben auch ihre Qualitäten und Anziehungskraft. Jeder, der zum Wohle der Stadt und zu seinem eigenen Wohl sich entschließt, nach Hameln aufs Land zu ziehen, ist herzlich willkommen.
Jobgalerie Weserbergland: Ein wichtiges Thema ist die Mobilität auf dem Land. Wie ist es mit der Mobilität in Hameln?
Oberbürgermeister Griese: Sicherlich befinden sich die Infrastruktur und der öffentliche Personennahverkehr in den Ballungszentren oder Großstädten in einer anderen Herausforderung als in ländlichen Regionen. In Hameln sind die Anbindungen im Schienenverkehr an Städte wie beispielsweise Hildesheim, Bielefeld oder Hannover gut ausgebaut. Mit dem sogenannten City-Takt haben die Menschen gute Busverbindungen. Alle dreißig Minuten sind die Innenstadt Hameln, die umliegenden Gemeinden und Orte mit den Bussen leicht erreichbar. Das Thema Verkehrsraum für alle nehmen wir ernst und wollen den Radverkehr auch deshalb weiter ausbauen. Das gehört ebenfalls zur Lebensqualität dazu. In Hameln laufen drei große Bundesstraßen. Das wollen wir in Zukunft anders und besser gestalten. Da gibt es beispielsweise Überlegungen zur Südumgehung und die Suche nach intelligenten Lösungen, den LKW-Verkehr besser umzuleiten. Der Individualverkehr bleibt natürlich ein wichtiger Bestandteil der Mobilität im ländlichen Raum. Wir bleiben für Ideen, Impulse und Innovationen beim Thema Mobilität auf dem Land weiterhin offen.
Jobgalerie Weserbergland: Mit den zahlreichen Bildungseinrichtungen, der Techniker Akademie und der Hochschule Weserbergland ist Hameln eine Bildungsstadt. Gleichzeitig hat Hameln für junge Menschen eine Jugendhaftanstalt. Um für Innovationen, Wirtschaft und Fachkräfte als Stadt attraktiver zu werden, können Sie sich eine Universität Hameln als Körperschaft des öffentlichen Rechts vorstellen? Wenn ja, wie würde sich Hameln mit einer Universität verändern?
Oberbürgermeister Griese: Die Vorstellung einer öffentlich-rechtlichen Universität in Hameln finde ich spannend. Eine staatliche Universitätsgründung ist jedoch in erster Linie Angelegenheit und Kompetenz des Landes. Ich bin mir zur Zeit nicht sicher, ob das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur eine Universität in Hameln unterstützen würde, weil es derzeit schwierig genug ist, die vorhandenen Universitätsstandorte in Niedersachsen auszubauen. Unser Fokus liegt darin, die Hochschule Weserbergland und das Institut für Solarforschung weiter auszubauen. Unser Augenmerk liegt auch auf den Themen Bildungscampus und weiteren Fakultäten in Hameln anzusiedeln. Das würde zusätzlich jüngere Menschen anziehen. Darin wollen wir sinnvollerweise für die Zukunft der Menschen und Stadt einfach weiterarbeiten.
Jobgalerie Weserbergland: Viele Menschen in Deutschland sind derzeit besorgt und die Welt befindet sich in unruhigen Zeiten. Was wünschen Sie sich für die Menschen, für die Betriebe und die Wirtschaft in Hameln, im Weserbergland und in Deutschland allgemein?
Oberbürgermeister Griese: Für die Betriebe und Unternehmen sind Wachstum, Sicherheit und Stabilität wesentliche Punkte. Das sind wichtige Motoren, die die Wirtschaft und die Menschen antreiben. Ich wünsche mir, dass die Bedingungen dafür beibehalten und geschützt werden. Ich wünsche mir auch wieder mehr Besonnenheit in der Politik vor Ort, in der Bundespolitik und in der Weltpolitik. Wir erleben derzeit nationalistische und kriegerische Bestrebungen. Das macht vielen Menschen im Land und mir persönlich große Sorgen. Das Bewusstsein für einen gemeinsamen Geist, für eine gemeinsame Erde und Menschheit dürfen wir uns immer wieder einladen. Die Menschheitsgeschichte hat gezeigt, dass ein friedliches Zusammenleben aller Menschen und Völker auch immer Wohlstand und Erfolg brachte. Frieden, Wohlstand und Gesundheit wünsche ich uns allen.
Jobgalerie Weserbergland: Herr Oberbürgermeister, haben Sie vielen Dank für das Interviewgespräch.
Das Interview führte Joel Cruz
„DIE NEUE ARBEITSWELT UND DIE DIGITALISIERUNG MACHEN DAS LEBEN IM WESERBERGLAND UND IN EINER STADT WIE HAMELN MÖGLICH UND AUCH ATTRAKTIV“