Neue Denkweisen für
Arbeitgeber im Weserbergland
Spricht man mit einigen Arbeitgebern im Weserbergland so hört man oft Sätze wie „Wir haben kein Interesse“, „Wir haben keine Vakanz“ oder „Wir brauchen zur Zeit keine neuen Mitarbeiter“. Das hört sich nicht unbedingt nach Fachkräftemangel an. Warum sind solche Denkweisen, Verhaltensmuster und Wortwahl langfristig schädlich für die Arbeitgeber und regionale Wirtschaft im Weserbergland?
von Joel Candelario Cruz
Neue Denkweisen können den Betrieben helfen
Der Fachkräftemangel ist für Unternehmen im Weserbergland prekärer denn je – so scheint es zumindest. “Wir haben kein Interesse“, schreibt eine Mitarbeiterin eines Landkreises. Eine höfliche Formulierung findet dagegen eine Energiefirma mit den Worten: „Wir haben keine Vakanz”. Anstatt sich über eine geeignete Kandidatin zu freuen, antwortet ein Unternehmer, der über 30 freie Stellen auf seiner Homepage aufgelistet hat, bei einer unverbindlichen Zusendung einer Top-Kandidatin, wie das Bildungssystem in Deutschland funktionieren sollte. Kein Wunder, dass es junge und gut ausgebildete Menschen in die Großstädte zieht. Da sind die Startups und Unternehmen zu den Kandidaten freundlicher, lösungsorientierter und begegnen den Bewerbern mit Offenheit, gutem Willen und Flexibilität, sagte neulich ein Besucher in der Jobgalerie Weserbergland. Es sind insbesondere die jungen Kandidaten im Weserbergland, die sagen, dass die Arbeitgeber in den Großstädten offener, flexibler und ein besseres Image haben.
Hauptsache nur Weg hier
“Das Weserbergland zu verlassen war die beste Entscheidung meines Lebens”, erzählt ein junger, neugieriger Mensch, der vor der Tür der Jobgalerie Weserbergland steht und seine Eltern in Emmerthal besucht. Der 28-Jährige arbeitet in Amsterdam und gehört damit zu einer wachsenden Kerngruppe an jungen Fachkräften, die aus Deutschland und Weserbergland ausgewandert sind. Zahlen des Statistischen Bundesamts und des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) belegen, dass jährlich rund 210.000 gut ausgebildete Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren das Land verlassen. Drei Viertel davon mit Hochschulabschluss – Tendenz steigend. Die Zahl der Rückkehrer nimmt dagegen immer weiter ab. Rund 10 Prozent der unter 30-Jährigen sind gezielt auf der Suche nach einem Job im Ausland. Einige Personalagenturen unterstützen diesen Trend sogar auch noch und vermitteln deutsche Fachkräfte ins Ausland. Natürlich gibt es auch Dienstleister, die ausländische Fachkräfte nach Deutschland vermitteln – jedoch ist dies mit viel Bürokratie verbunden.
Für die Unternehmen im Weserbergland ist jede Abwanderung von qualifizierten Fachkräften eine Hiobsbotschaft und gleichzeitig auch eine Aufforderung zum Handeln. Hochqualifizierte Menschen werden im Weserbergland dringend gesucht – so die örtlichen Arbeitgeber. Ein Umdenken in den meisten Betrieben kommt jedoch nicht in Frage. Alles soll beim Alten bleiben. Ob alte Denkweisen und Sichtweisen für die Unternehmen gut sein sollen, ist zweifelhaft.
Sind qualifizierte Ukrainer willkommen?
Trotz hoher Zuwanderungszahlen mangelt es im Weserbergland nach wie vor an Nachwuchs- und Fachkräften. Vor Ort sind viele Flüchtlinge aus der Ukraine sehr gut ausgebildet. Viele von ihnen sprechen gut deutsch und lernen auch sehr schnell unsere Sprache. Sie könnten die deutsche Sprache jedoch noch schneller und besser lernen, wenn Arbeitgeber die hochqualifizierten Menschen aus der Ukraine mit innovativen und effizienten Arbeitszeitmodellen einstellen würden. Hochqualifizierte Menschen aus der Ukraine erzählen, dass sie sehr dankbar sind für die Integrationskurse, Sprachkurse und soziale Leistungen. Auf der einen Seite macht sich zum Beispiel nach über 40 Absagen zunehmend Unverständnis, Frust und Unzufriedenheit bei den Lernwilligen, Arbeitswilligen und Hochqualifizierten mit Migrationshintergrund breit. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass mehr als die Hälfte der qualifizierten Zuwanderer innerhalb weniger Jahre wieder abwandern. Meistens in den klassischen Einwanderungsländern wie den USA, Kanada oder Großbritannien. Deutschland fördert und bildet aus und das Ausland profitiert davon, kann keine Lösung für die Betriebe vor Ort sein. Dieser Trend verstärkt zusätzlich den Fachkräftemangel und den demografischen Wandel. In Zukunft kann es daher für Deutschland und für die Betriebe im Weserbergland eng werden.
Was tun die Arbeitgeber im Weserbergland?
Arbeitgeber müssen schon mehr tun, als nur passive Stellenangebote online zu setzen. Eine solche unkommunikative Passivität, die den Betrieben vor Ort langfristig und zunehmend Probleme bereitet, wie Zahlen und Studien signalisieren, ist zu wenig, um Fachkräfte dauerhaft zu gewinnen.
In Schweden geht der Trend wieder zu mehr persönlichen Angeboten und Gesprächen. Seit 2023 kehrt Schweden auch wieder zurück zu mehr Schulbüchern und Heften. Die Digitalisierung der Kinder soll aus gesundheitlichen Gründen in den Schulen damit begrenzt werden. Während man in Deutschland die digitale Transformation feiert, hat Schweden längst erkannt, dass die Digitalisierung an den Schulen die Lese- und Leistungskompetenz der Schüler negativ beeinflusst, physische und psychische Krankheiten bei den 12 bis 16-jährigen in den letzten fünf Jahren dramatisch zugenommen haben. Das hat Auswirkung und Einfluss auf die schwedische Wirtschaft, die zum Teil mehr Bücher und Hefter an schwedischen Schulen sogar befürworten. Schließlich brauche man keine “kranken Nachwuchskräfte” in den Betrieben. Diese würden den Fachkräftemangel in Schweden zusätzlich verstärken. Selbst die WHO warnt offiziell vor negativen Folgen für die mentale Gesundheit bei Jugendlichen durch soziale Medien. Welche Folgen dies für die deutschen Betriebe und Wirtschaft bedeuten könnte, will hierzulande noch keiner wissen. In Deutschland wird über diesen Negativtrend wahrscheinlich erst in den nächsten Jahren nachgedacht – wenn überhaupt? In Sachen Bildung, Familienpolitik, Kinderfreundlichkeit und dem Wohlergehen des Arbeitnehmers steht Deutschland weit hinter Schweden.
Wie löst man die Probleme?
Albert Einstein wusste damals schon, dass man Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen kann, wie sie entstanden sind. Und genau das ist das Problem von einigen Arbeitgebern im Weserbergland. Entscheidungsträger weserbergländischer Unternehmen und regionale Politik sollten sich deshalb fragen, warum gut ausgebildete Menschen die Region verlassen – und wie man Anreize für eine Rückkehr, für ein besseren Image der Arbeitgeber vor Ort und wie man für eine echte Willkommenskultur für qualifizierte Menschen schaffen könnte. Antworten wie: “Wir haben kein Interesse”, “Wir sehen das pessimistisch” oder “Wir haben keine Vakanz” fügen den Unternehmen im Weserbergland nur Schaden zu. Die Arbeitgeber im Weserbergland stehen vor großen Herausforderungen. Neue Handlungen, neue Ideen und neue Denkweisen sind nicht nur gefragt, sondern dringender denn je. Einige Arbeitgeber haben es schon verstanden und handeln – und das gibt Hoffnung für die Zukunft der Menschen im Weserbergland.