IHK Hannover
Betriebe suchen nicht nur in Deutschland nach qualifizierten Fachkräften
Annina Häfemeier in der Jobgalerie Weserbergland I Foto: Jobgalerie Weserbergland/Philipp Mack
Die Jobgalerie Weserbergland sprach mit Annina Häfemeier. Sie ist seit 01. November 2024 die neue Standortleiterin der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Hameln.
Jobgalerie Weserbergland: Frau Häfemeier, zunächst einmal vielen Dank für Ihren Besuch in der Jobgalerie Weserbergland und dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Das Thema Fachkräftemangel bereitet nach wie vor den Betrieben große Sorgen gerade im ländlichen Raum. Was können Arbeitgeber aus ihrer Sicht tun?
Annina Häfemeier: Der Fachkräftemangel beschäftigt die Betriebe nach wie vor. Kürzlich haben wir eine Umfrage getätigt, die zum Ergebnis kam, dass jeder zweite Betrieb langfristig offene Stellen nicht nachbesetzen kann. Arbeitgeber bekommen entweder keine qualifizierten Bewerber oder gar keine Bewerbungen. Wir haben einen sehr starken Arbeitnehmermarkt. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir an einem Punkt angekommen sind, an dem die Unternehmen sich bei den Arbeitnehmern bewerben müssen. Fachkräfte zu motivieren, individuelle Bedürfnisse berücksichtigen, flexible Teilzeitmodelle und Weiterbildung, das alles gewinnt immer
mehr an Bedeutung und so muss man gezielt für potentielle Kandidaten werben. Empfehlenswert kann es auch sein, dass Kandidaten, die nicht 100 Prozent die geforderten Qualifikationen vorweisen können, die Möglichkeit zu geben sich weiterzubilden, zum Beispiel über Teilqualifikationen. Es geht darum, aus einer Hilfskraft eine volle Fachkraft zu machen. Hinter jeder Bewerbung steckt nämlich meist eine hohe Motivation.
Jobgalerie Weserbergland: Im Sommer war in Hameln in der Rattenfängerhalle eine regionale Ausbildungsmesse. Sind stationäre Jobmessen und andere lokale Rekrutierungsmessen für die Arbeitgeber im Online-Zeitalter noch sinnvoll und zeitgemäß?
Annina Häfemeier: Ja, Jobmessen sind in der Tat zeitgemäß und werden es auch noch bleiben. Das haben unsere Umfragen gezeigt. Der persönliche Kontakt funktioniert immer noch am Besten, um Nachwuchskräfte und neue Mitarbeiter für Unternehmen zu gewinnen. Um erste Erfahrungen mit den Betrieben zu machen, sind Schulpraktika sehr beliebt bei Firmen. Den persönlichen Aspekt darf man nicht unterschätzen. Die eigenen Mitarbeiter zu motivieren, in ihrem Lebensumfeld auf offene Stellen und Ausbildungsmöglichkeiten hinzuweisen, kommt den Arbeitgebern zugute. Die Ausbildungsmessen und Jobmessen sind eine gute Gelegenheit, den potentiellen Azubi vom Unternehmen und vor allem menschlich zu überzeugen. Social Media Aktivitäten unterstützen die menschliche Ebene, können diese jedoch nicht vollständig ersetzen.
Jobgalerie Weserbergland: Die Gesellschaft ist im Wandel. Die letzten Landtagswahlen haben gezeigt, wie sich die politische Landschaft verändert. Welchen Einfluss haben Wahlergebnisse auf Unternehmen im Kontext Vielfalt und Diversity Management?
Annina Häfemeier: Vielfalt und Diversität sind für viele Unternehmen ein wichtiges Thema. Betriebe suchen nicht nur in Deutschland nach qualifizierten Fachkräften, sondern auch im europäischen Ausland und weltweit. Die Politik hat dazu bereits Gesetzespakete auf den Weg gebracht, die Unternehmen dabei helfen, qualifizierte Kandidaten aus dem Ausland zu rekrutieren. Ob das ausreicht, muss man sehen. Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg werden durch die Medien im Ausland beobachtet. Die Arbeitgeber vor Ort machen sich Sorgen, dass die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte schwieriger wird. Unternehmen befürchten, dass die Wahlergebnisse Auswirkungen auf die Attraktivität des Standortes von diesen Bundesländern haben könnten. Für die Betriebe im Weserbergland hat dies zunächst keine direkte Auswirkung. Die Wirtschaft beobachtet aber die politischen Entwicklungen hierzulande.
Jobgalerie Weserbergland: In der Zukunft wird sich die Arbeitswelt verändern und im Zuge der KI und Digitalisierung wird es gewisse Berufe nicht mehr geben. Was müssen Unternehmen heute tun, um in der Zukunft am Markt wettbewerbsfähig zu bleiben?
Annina Häfemeier: Unternehmen werden nicht drum herumkommen, sie müssen sich mit KI und Digitalisierung beschäftigen. Diese Trends wirken sich in Branchen und Betrieben unterschiedlich aus. Die Unternehmen sind herausgefordert, intern zu prüfen, welche Potentiale KI und Digitalisierung für den eigenen Betrieb bringen und wie sie effizienter werden können. Es geht darum, KI und Digitalisierung effizient für die Arbeitsprozesse und für die Mitarbeiter anzuwenden. Die Möglichkeiten und Potentiale sind noch lange nicht ausgeschöpft.
Jobgalerie Weserbergland: In Schweden kehren viele Schulen wieder zum Heft und Bücher zurück. Die Verbände und Politik begründen dies aus gesundheitlichen Gründen und den Rückgang der Lernkompetenz der Schüler. Auf Groß- und Kleinschreibung oder die richtigen Satzzeichen wird durch iPads und Laptops kaum noch beachtet. Je mehr eine Schule ihren Unterricht auf Internet und Computer stützt, desto schlechter die Leistung der Kinder, so die schwedische Bildungsministerin Lina Kihlblom in einem Interview. Wäre das auch eine Idee an deutsche Schulen? Und hätten die Betriebe beim Thema Nachwuchskräfte Vorteile davon?
Annina Häfemeier: Für die Unternehmen ist es wichtig, dass Auszubildende gute schulische Abschlüsse mitbringen, um gut in das Ausbildungsjahr starten zu können. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der sogenannten Ausbildungsstartkompetenz. So fällt es den Nachwuchskräften leichter, sich in der Ausbildung auf das Erwerben von Fachkenntnisse zu konzentrieren. Für viele Unternehmen ist darüber hinaus der MINT-Bereich, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, ein wichtiges Feld. Warum? Wir stehen vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie zum Beispiel die Energiewende und die Mobilitätswende und da sind die MINT-Fächer in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Für die Wirtschaft macht es deshalb Sinn, die Schülerinnen und Schüler in einem frühen Stadium bereits für die MINT-Berufe zu begeistern und in der Schule darin Kompetenzen zu erwerben. Die Arbeitgeber würden sich außerdem freuen, wenn die jungen Menschen bereits in der Schule ökonomische bzw. Wirtschaftskompetenzen für den künftigen Berufsweg erhalten und vermittelt bekommen. Mit welchen Methoden man diese Inhalte jedoch am besten vermitteln kann, das müssen die Lehrerinnen und Lehrer, das Kultusministerium und die Bildungsforscher entscheiden. Sie sind die Experten auf diesem Gebiet.
Jobgalerie Weserbergland: Frau Annina Häfemeier, haben Sie vielen Dank für das Interviewgespräch. Wir hoffen, Sie bald wieder in der Jobgalerie Weserbergland begrüßen zu dürfen. Für Ihre neue Position und als Nachfolgerin von Dr. Dorothea Schulz, die bis dato Standortleiterin der IHK in Hameln war, wünschen wir Ihnen einen guten Start.
Das Interview führte Joel Candelario Cruz