UNTERNEHMENSNACHFOLGE UND INTEGRATION
WETTBEWERB UM UNTERNEHMENSNACHFOLGE
WIRD IMMER GRÖSSER
Max und Anastasia sind 2022 aus der Ukraine geflüchtet. Seit Sommer 2023 haben die beiden ein Café übernommen.
Demografischer Wandel und Fachkräftemangel sind drängende Probleme für die deutsche Wirtschaft. Eine immer größere werdende Sorge ist jedoch das Nachfolgeproblem. Die Zahlen sind alarmierend. Studien und Umfragen zeigen, dass bis zu einem Drittel der Unternehmer ihre Betriebe vorzeitig schließen wollen wegen fehlender Nachfolge. Die Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland sind heute schon gravierend.
Laut einer Umfrage der staatlichen Förderbank KfW im Jahre 2023 ist der Bedarf an Unternehmensnachfolge in den letzten sechs Jahren von 35 auf 41 Prozent angestiegen. Der Umfrage zufolge planen über 224.000 inhabergeführte Betriebe bis Ende des Jahres ihren Rückzug. 74 Prozent der 11.300 kleinen und mittleren befragten Unternehmen finden die Nachfolge als ein großes Problem.
Gerade im ländlichen Raum sind die Erhaltung von Arbeitsplätzen und der Fortbestand von Betrieben essenzielle Themen. Es steht außer Frage, dass Migration nach Deutschland nicht nur positives bewirkt und zu Konflikten führen kann, jedoch wie kann die Migration von Menschen beim Thema Unternehmensnachfolge hilfreich sein? Wie kann ein Asylbewerber zum Arbeitgeber werden? Im Bericht der KfW-Bank im Jahre 2022 erfolgte jeder vierte Startup- und Existenzgründung in Deutschland durch Menschen mit Migrationsbiografien.
Ein Unternehmen in Deutschland zu gründen, mag für viele immer noch unpopulär sein. Für die meisten Deutschen ist das Risiko zu gefährlich und ziehen eine sichere Festanstellung vor. Und dennoch gibt es sie. Die Startup-Gründer. Gerade unter den Zuwanderergruppen existiert ein großes Verlangen nach Eigenverantwortung, Freiheit und Selbstständigkeit. Neben mangelnden Sprach- und Deutschkenntnissen ist die Anerkennung von internationalen Berufsabschlüssen für Zuwanderer eines der Hindernisse für den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Kein Wunder also, weshalb immer mehr Zuwanderer als Alternative in die Selbstständigkeit gehen. Die Zahl der Selbstständigen und Betriebe mit Migrationsgeschichte beträgt über 800.000 mit einer Beschäftigungszahl von rund 2,4 Millionen Arbeitsplätzen. Das geht aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor.
Vom Asylbewerber zum Arbeitgeber
Auch im Weserbergland machen sich viele Einwanderer mit eigenen Unternehmen selbstständig. Beim Thema Unternehmensnachfolge können die beruflichen Potenziale der Zugewanderten besonders interessant sein. Max und Anastasia, die 2022 mit ihren drei Kindern aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, haben die Nachfolge für ein Café im Sommer 2023 in der Hamelner Innenstadt übernommen. Weil seine mexikanische Frau zurück wollte, entschied sich der Unternehmensvorgänger, nach Mexiko auszuwandern. Davor waren Max und Anastasia sechs Monate lang im 5-Sterne-Schlosshotel Münchhausen tätig.
Eines Tages lief Max die Fußgängerzone in der Osterstraße in Hameln entlang und ging ins Kaffee 38, so hieß der Laden damals. Er bestellte beim damaligen Inhaber einen Kaffee und so kamen die beiden ins Gespräch. Ursprünglich fragte Max nach einem Aushilfsjob. Aus dieser Begegnung wurde Max zum heutigen Unternehmensnachfolger eines Café-Betriebes. Max selbst war in der Ukraine als Barista tätig und seine Frau Anastasia ist gelernte Konditorin. Vor der Flucht aus der Ukraine hatten sie einen eigenen Betrieb, ein Restaurant mit über 100 Sitzplätzen und 10 Mitarbeitern. Der Cappuccino, die süßen Spezialitäten und die hausgemachten Kuchen sind zu empfehlen. Das alles passt, um ein Café in Hameln zu übernehmen. Das Café heißt heute Razom und bedeutet übersetzt “Zusammen” und Zusammenhalt ist für die deutsche Gesellschaft und Wirtschaft wichtiger denn je als die Frage nach der Herkunft.
Text von Joel Cruz
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